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Unfall bei Fahrsicherheitstraining: Streit um Führerscheinklausel

9.4.2024 – Der 15-jährige Lenker war auf einem Trainingsparcours auf einer Wiese gestürzt. Er hatte eine Lenkerberechtigung für die Klasse AM, nicht aber für das gefahrene 125-ccm-Trial-Motorrad. Der Unfallversicherer berief sich auf die Führerscheinklausel. Während die Vorinstanzen zu Gunsten des Verunfallten entschieden, urteilte der OGH anders. Dass das Trial-Motorrad nicht zulassungsfähig war, spiele keine Rolle, sehr wohl aber, dass es sich um ein von der Klausel erfasstes Kfz gehandelt habe – und für das Lenken des Fahrzeugs wäre nach den Bedingungen ein Führerschein erforderlich gewesen.

Kürzlich lag dem Obersten Gerichtshof (OGH) ein Fall vor, in dem Herr S. Klage gegen den Versicherer eingereicht hatte. Strittig waren Versicherungsleistungen nach einem Unfall seines Sohnes.

Was war geschehen? Der damals 15-jährige Sohn hatte Anfang September 2022 an einem Fahrsicherheitstraining in einem Trial-Garten teilgenommen. Dabei wurden leistungsreduzierte Schulungsmotorräder mit einem Hubraum von 80 und 125 Kubikzentimetern verwendet.

Er verfügte über eine Lenkberechtigung für die Klasse AM (§ 2 Abs. 1 Z. 1 FSG idF BGBl 2021/154: Motorfahrräder/vierrädrige Leichtfahrzeuge), nicht aber über eine solche für Motorräder mit einem Hubraum von 125 Kubikzentimeter.

Unfall mit 125-ccm-Motorrad

Nachdem er in der Handhabung der Trial-Motorräder unterwiesen worden war, fuhr er ein paar Runden im Kreis.

Der Fahrtrainer fragte ihn dann, ob er schon mit einem Moped gefahren sei. Nachdem er bejaht hatte, wurde ihm die Fahrt mit einem Trial-Motorrad mit 125 ccm angeboten. Ihm wurde auch erklärt, er dürfe nur im ersten Gang fahren und nicht zu viel Gas geben.

Mit diesem Motorrad nahm er am weiteren Fahrsicherheitstraining teil und fuhr zunächst im Kreis Runden, danach Schlangenlinien zwischen Verkehrshüten auf der Wiese.

Anschließend fuhr er in den Parcours. Nach einer Kurve führte der Weg bergauf – er lehnte sich zurück, hielt sich am Lenker fest und gab unbewusst Gas. Dadurch fiel er aus der Kurve, das Motorrad landete auf seinem Fuß.

Streit um Obliegenheitsbestimmung

Bei dem Sturz erlitt er eine Unterschenkeldrehfraktur am rechten Bein. Die Folge war eine dauernde Invalidität, die sechs Prozent des Beinwertes beträgt. Sein Vater forderte deshalb eine Leistung aufgrund eines Versicherungsvertrags, in dem sein Sohn mitversichert war.

Dabei kam es allerdings zu Streitigkeiten. Auslöser: eine Obliegenheitsbestimmung in den zugrunde liegenden Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 2019 (AUVB 2019), die das Vorliegen einer entsprechenden Lenkerberechtigung verlangte. Sie ist im Kasten auszugsweise wiedergegeben.

OGH 7Ob7/24s: AUVB 2019 (Auszug)

Artikel 21 – Was ist vor Eintritt eines Versicherungsfalles zu beachten? Was ist nach Eintritt eines Versicherungsfalles zu tun?

Obliegenheiten

Als Obliegenheiten werden vereinbart:

1. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles:

1.1 Die versicherte Person hat als Lenker eines Kraftfahrzeuges die jeweilige kraftfahrrechtliche Berechtigung, die zum Lenken dieses oder eines typengleichen Kraftfahrzeuges erforderlich wäre, zu besitzen; dies gilt auch dann, wenn dieses Fahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt wird.

[…]

Die Argumente des Klägers

Der Vater des Verunfallten meinte: Auch wenn sein Sohn keine Lenkberechtigung für Motorräder mit 125 ccm Hubraum besitzt – der Versicherer sei trotzdem nicht leistungsfrei. Seine Argumente:

  • Das genutzte Trial-Motorrad sei ein Spezialmotorrad, das für Anfängerkurse konzipiert worden sei, nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden könne, nicht den Bestimmungen des KFG unterliege und auch nicht zulassungsfähig sei.
  • Die Führerscheinklausel sei nicht auf zulassungsunfähige Motorräder anwendbar, die nur abseits öffentlicher Straßen zu Sport- und Freizeitzwecken verwendet werden dürften.
  • Für das Lenken eines derartigen Spezialmotorrades sei keine Lenkberechtigung im Sinn des § 1 FSG erforderlich, denn mit derartigen Fahrzeugen würden am Übungsgelände typischerweise Übungsfahrten zur Vorbereitung der künftigen Führerscheinprüfung absolviert.
  • Eine allfällige Obliegenheitsverletzung sei außerdem nicht kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls bzw. für den Umfang der zu erbringenden Versicherungsleistung gewesen – Der Unfall und die Unfallfolgen wären auch eingetreten, wenn sein Sohn über eine entsprechende Lenkberechtigung verfügt hätte.

Versicherer sieht sich leistungsfrei

Der Versicherer sah das anders: Der mitversicherte Sohn hätte die jeweilige kraftfahrrechtliche Berechtigung müssen – und zwar auch dann, wenn das Fahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt wird. Dies sei hier aber eben nicht der Fall.

Ob das konkrete Trial-Motorrad zulassungsfähig sei, sei für die Anwendbarkeit von Art. 21 AUVB 2019 unerheblich.

Erstgericht: keine Lenkerberechtigung nötig

Justitia (Bild: Tingey Injury Law Firm)
Bild: Tingey Injury Law Firm

Das Erstgericht gab der Klage des Vaters statt. Für das Trial-Motorrad sei schon aufgrund dessen Beschaffenheit und des Verwendungszwecks keine Lenkberechtigung erforderlich.

Nach § 2 Z. 1 KFG gebe es zwei Möglichkeiten, ein Fahrzeug als Kraftfahrzeug anzusehen:

  • einerseits, wenn es ein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes Fahrzeug sei oder
  • andererseits, wenn es auf Straßen tatsächlich verwendet werde (unter Bezugnahme auf Judikatur des VwGH).

Die gegenständlichen Schulungsmotorräder würden nur im Parcours auf der Wiese zwecks Übung der Fahrtechnik verwendet. Sie seien auch ausschließlich dafür bestimmt.

Mangels Vorliegens einer Straße und mangels der Bestimmung zur Verwendung auf der Straße seien sie keine Kfz im Sinn des § 2 Z. 1 KFG in Verbindung mit § 2 FSG.

Somit sei für sie keine Lenkberechtigung im Sinn des FSG erforderlich. Deshalb schade es auch nicht, dass der Sohn keine Lenkberechtigung für Motorräder mit Hubraum bis 125 ccm besitze.

Berufungsgericht bestätigt Urteil

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Nach § 1 Abs. 1a Z. 3 FSG seien Kfz, die bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung und ihren Trainingsfahrten auf einer für den übrigen Verkehr gesperrten Straße verwendet würden, für die Dauer einer solchen Veranstaltung von der Anwendung der FSG-Bestimmungen ausdrücklich ausgenommen.

Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehe die Führerscheinklausel so, dass er über die entsprechende Lenkberechtigung nach dem FSG verfügen müsse, um Versicherungsschutz zu genießen.

Dass nach den Versicherungsbedingungen entgegen der Ausnahmeregel des § 1 Abs. 1a Z. 3 FSG dennoch die Führerscheinklausel gelten solle, sei für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer aber nicht erkennbar.

Wenn er mit Trial-Motorrädern, die gar nicht zulassungsfähig seien, auf einem Trainingsparcours zulässigerweise ohne Lenkberechtigung fahre, so sei für ihn nicht erkennbar, dass für den Unfallversicherungsschutz dennoch ein Führerschein notwendig sein solle.

Fall geht zum OGH

Schließlich wandte sich der Versicherer an den OGH. Dieser stellte zunächst fest: Die strittige Führerscheinklausel gelte auch für Fahrten auf nichtöffentlichem Grund (RS0080941); das sei in Artikel 21.1.1 AUVB 2019 ausdrücklich vereinbart. „Sie zielt darauf ab, den Versicherer nicht dem höheren Risiko durch unerfahrene und ungeschulte Lenker auszusetzen.“

Die Führerscheinklausel stelle darauf ab, ob der Lenker eine (allgemeine) Fahrberechtigung und damit eine gewisse Fahrsicherheit hat, egal auf welcher Fläche er das Fahrzeug lenkt. Das fahrerische Können solle bereits vor Fahrtantritt „in der vom Gesetz formalisierten Weise durch Erhebungen der Behörde und die Fahrprüfung dargetan sein“.

Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer „versteht die Führerscheinklausel dahin, dass er, um Versicherungsschutz zu genießen, zum Lenken eines Kraftfahrzeugs über die entsprechende Lenkberechtigung nach dem Führerscheingesetz (FSG) verfügen muss“.

Führerscheinklausel erfasst Fahrten auf nicht-öffentlichem Grund

„Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts“ sei nicht maßgeblich, dass nach § 1 Abs. 1a Z. 3 FSG idF BGBl I 2015/74 Kfz, die bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung und ihren Trainingsfahrten – „was gar nicht feststeht“ – auf einer für den übrigen Verkehr gesperrten Straße verwendet werden, für die Dauer einer solchen Veranstaltung vom Anwendungsbereich des FSG ausgenommen sind.

Zu berücksichtigen sei, dass auch bei Fahrten auf nicht-öffentlichem Grund – was sich im Umkehrschluss aus § 1 Abs. 1 FSG ergebe – keine Lenkberechtigung erforderlich ist, „diese Fahrten aber dennoch von der Führerscheinklausel nach Art. 21.1.1 AUVB 2019 ausdrücklich erfasst sind“.

Das Fahrtechniktraining habe auf einem Gelände ohne Straßen mit öffentlichem Verkehr stattgefunden, „was dem Erfordernis einer Lenkberechtigung nicht entgegensteht, sodass es auf die vom Berufungsgericht herangezogene Ausnahme nach § 1 Abs 1a Z 3 FSG nicht ankommt“.

Auch wenn daher das Verhalten des Sohnes „gesetzlich nicht verboten gewesen sein mag, resultiert daraus nach der Bedingungslage des Unfallversicherungsvertrags keine Leistungspflicht des Versicherers“.

Trial-Motorrad ein von der Klausel erfasstes Kfz

Es komme nicht darauf an, dass das konkrete Trial-Motorrad aufgrund seiner Bauweise (keine Lichter und Blinker, kein Sattel, im Stehen zu fahren) nicht zulassungsfähig war – sondern es komme darauf an, dass es ein von Artikel 21.1.1 AUVB 2019 erfasstes Kfz gewesen sei.

Nach der Führerscheinklausel müsse der Lenker die jeweilige kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzen. „Mag auch für das gegenständliche Trial-Motorrad mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 2 Z. 1 KFG (i.V.m. § 2 FSG) kein Führerschein erforderlich gewesen sein, kommt es nach Art. 21.1.1 AUVB 2019 darauf an, dass dies auch für das ‚typengleiche Kraftfahrzeug‘ gilt.“

Zweck dieser Obliegenheit sei, „das Risiko von Versicherungsfällen durch ungeschulte, unerfahrene Kfz-Lenker auszuschalten, das auch auf Straßen ohne öffentlichen Verkehr besteht“. Der Versicherungsschutz setze die entsprechende Lenkberechtigung nach dem FSG voraus.

Obliegenheitsverletzung nachgewiesen

„Ausgehend von diesem, einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck der Führerscheinklausel ist anknüpfend an § 2 Abs. 1 FSG ein typengleiches Kraftfahrzeug wie das Trial-Motorrad ein (ordnungsgemäß ausgestattetes) Motorrad mit derselben Motorleistung und einem Hubraum von 125 Kubikzentimetern.“

Da ein typengleiches Kfz wie das Trial-Motorrad – „nämlich ein Motorrad, das hinsichtlich Motorleistung und Hubraum von 125 Kubikzentimeter mit diesem übereinstimmt“ – ein Kraftfahrzeug im Sinn des § 2 Z. 1 KFG sei und dafür in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z. 2 lit. a FSG jedenfalls die Lenkberechtigung der Klasse A1 erforderlich wäre, „hätte auch der Sohn des Klägers entsprechend Art 21.1.1 AUVB 2019 über diese ‚kraftfahrrechtliche Berechtigung‘ verfügen müssen“.

Da für das Lenken des Fahrzeugs nach den Versicherungsbedingungen ein Führerschein erforderlich gewesen wäre, habe der Versicherer die objektive Obliegenheitsverletzung nachgewiesen. Die vom Kläger eingewandte Unkenntnis der Versicherungsbedingungen spiele für das Verschulden keine Rolle.

Versicherer ist leistungsfrei

Nach ständiger Rechtsprechung könne das Vorliegen einer Lenkberechtigung nicht durch den Nachweis tatsächlichen Fahrkönnens ersetzt werden. Ebenso wenig sei der Nachweis zulässig, dass der Lenker vor dem Versicherungsfall eine Fahrprüfung bestanden hätte.

„Für einen Fahrer ohne Lenkberechtigung bleibt demnach nur ein eingeschränkter Kausalitätsgegenbeweis in der Richtung, dass der Unfall durch keinerlei Fahrfehler, etwa durch ein technisches Gebrechen oder das ausschließliche Verschulden eines Dritten verursacht wurde“, so der OGH.

Nach den Feststellungen habe der Kläger den Kausalitätsgegenbeweis nicht erbringen können. „Der Sturz seines mitversicherten Sohnes mit dem Trial-Motorrad erfolgte infolge eines Fahrfehlers.“

Fazit: Da der Versicherer die Verletzung der Obliegenheit habe nachweisen können und der Kläger den Kausalitätsgegenbeweis nicht, „ist das Klagebegehren abzuweisen“.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob7/24s vom 6. März 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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