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Streit um Unfall-Deckung für Sehnenriss einer Parkinson-Patientin

22.4.2024 – Eine Unfallversicherte spürte beim Gehen plötzlich einen Stich in der linken Wade und vernahm ein Schnalzgeräusch. Eine Sehne war gerissen. In der Folge kam es zum Rechtsstreit um die Leistungspflicht der Versicherung, der bis zum OGH ging. Dieser entschied, dass gemäß Bedingungen die – 100 Prozent betragende – Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen an den versicherten Verletzungen mitzuberücksichtigen und der Versicherer damit leistungsfrei ist.

Frau L. leidet seit 1998 an einem atypischen Morbus Parkinson. Damit sind Gangstörung, vermehrtes Umkippen und Sturzneigung verbunden. Dadurch kommt es zu einer chronischen Überbelastung der Stell- und Haltereflexe sowie der Sehnen und Bänder.

Als Frau L. am 26. März 2017 auf dem Weg zu ihrem Auto war, spürte sie plötzlich einen Stich in der linken Wade. Zugleich nahm sie deutlich ein „Schnalzgeräusch“ wahr – die Peroneussehne im Bereich des linken oberen Sprunggelenkes war gerissen.

Der Riss wurde durch die chronisch-degenerative Veränderungen verursacht, die aufgrund der oben erwähnten, mit der Parkinson-Erkrankung verbundenen Beeinträchtigungen bestanden.

Streit um Versicherungsleistung

L. war unfallversichert und wollte aufgrund des Vorfalls eine Versicherungsleistung. Dem Vertrag lagen die „Klipp & Klar“-Bedingungen für die Unfallversicherung 2012 (UB00) zu Grunde; sie sind im Kasten unten auszugsweise wiedergegeben.

Allerdings kam es zu Streitigkeiten über die Leistungspflicht. Sie wurden vor Gericht ausgetragen und beschäftigten schlussendlich auch den Obersten Gerichtshof (OGH).

OGH 7Ob3/24b: Bedingungen für die Unfallversicherung (Auszug)

Was ist ein Unfall? – Artikel 6

Sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes – Artikel 21

1. Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzliches von außen auf ihren Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

2. Als Unfall gelten auch folgende Ereignisse:

Verrenkungen von Gliedern sowie Verzerrungen und Zerreißungen von Gliedmaßen und an der Wirbelsäule befindlichen Muskeln, Sehnen, Bänder und Kapseln sowie Meniskusverletzungen.

Hinsichtlich krankhaft abnützungsbedingter Einflüsse finden insbesondere Art 21 Pkt 3, Sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes, Anwendung.

[…]

1. Eine Versicherungsleistung wird von uns nur für die durch den eingetretenen Unfall hervorgerufenen Folgen (körperliche Schädigung oder Tod) erbracht.

2. Bei der Bemessung des Invaliditätsgrades wird ein Abzug in Höhe einer Vorinvalidität nur vorgenommen, wenn durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen ist, die schon vorher beeinträchtigt war. Die Vorinvalidität wird nach Art 7 „Dauernde Invalidität“ Pkt 2 und 3 bemessen.

3. Haben Krankheiten oder Gebrechen, bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung – insbesondere solche Verletzungen, die durch krankhaft abnützungsbedingte Einflüsse verursacht oder mitverursacht worden sind – oder deren Folgen mitgewirkt, ist im Fall einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, ansonsten die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens, zu vermindern, wenn dieser Anteil mindestens 25 % beträgt. Das gilt insbesondere auch, wenn die Gesundheitsschädigung durch einen abnützungsbedingten Einfluss mit Krankheitswert, wie beispielsweise Arthrose, mitverursacht worden ist. […]

Die Standpunkte

Frau L. forderte auf dem Rechtsweg letztlich 96.000 Euro Versicherungsleistung: Der Vorfall habe eine dauernde Gesamtinvalidität von 50 Prozent verursacht; Vorerkrankungen oder Gebrechen bestünden nicht.

Der Versicherer sah in dem Sehnenriss allerdings keine Unfallfolge. Vielmehr weise L. eine degenerative Vorschädigung auf – und diese sei zu mehr als 25 Prozent ursächlich für die beschriebenen Beschwerden und die daraus resultierende Dauerinvalidität.

Erst- und Berufungsgericht

Das Erstgericht erachtete den Sehnenriss als Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen. Auch dauernde Invalidität liege vor. Gedeckt sah es den Fall aber trotzdem nicht, denn die Invalidität sei zur Gänze durch die chronisch-degenerativen Veränderungen verursacht worden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil. Den Sehnenriss hätten ausschließlich die chronisch-degenerativen Veränderungen verursacht. Die parkinsonbedingten degenerativen Veränderungen seien ein mitwirkender Faktor.

Da eine 100-prozentige Mitwirkung (Artikel 21.3 UB00) des Gebrechens die Unfallfolge des Sehnenrisses bewirkt habe, bestehe keine Deckung.

OGH: Steht Invaliditätsentschädigung zu?

Justitia (Bild: Tingey Injury Law Firm)
Bild: Tingey Injury Law Firm

Am Ende ging die Sache zum OGH. Nicht bestritten wurde dort die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass L. eine in Artikel 6.2 UB00 beschriebene Verletzung erlitten hatte und daher vom Eintritt eines Unfalls auszugehen ist.

Es ging vor dem Höchstgericht nur noch um die Frage einer Invaliditätsentschädigung aufgrund des Vorfalls.

Wie die Deckungseinschränkungen zu verstehen sind

Der OGH hielt zunächst fest: Der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht Artikel 21.3 UB00 so, „dass unfallfremde Krankheiten oder Gebrechen grundsätzlich zu seinen Lasten gehen, nämlich zu einer Kürzung eines Anspruchs oder einem Abzug von der Gesamtinvalidität führen“.

Aus der Klausel folge klar, dass der Versicherer keine Deckung „für unfallfremde Ursachen von Gesundheitsschädigungen wie Krankheiten oder konstitutionell oder schicksalhaft bedingte gesundheitliche Anomalien“ bietet.

Abgestellt werde allein auf die Mitwirkung der Krankheiten oder Gebrechen an den Unfallfolgen, nicht darauf, ob beim Unfallereignis selbst Vorerkrankungen mitgewirkt haben.

Eine Leistungsverkürzung sei schon insoweit vorzunehmen, „als Krankheiten oder Gebrechen bei der (ersten) Gesundheitsschädigung (Unfallfolgeereignis) im Sinne von Art 21.3 UB00 mitgewirkt haben“.

Kürzung bei Zusammentreffen von Unfallereignis und dessen Folge

Nun stelle sich die Frage: Ist eine Leistungskürzung auch bei einer Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen an einer versicherten Verletzung vorzunehmen? Ist also die Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen zu berücksichtigen, wenn Unfallereignis und Unfallereignisfolge zusammenfallen?

„Dies ist bereits ausgehend von dem in Art 6.2 UB00 ausdrücklich aufgenommenen Hinweis, dass hinsichtlich krankhaft abnützungsbedingter Einflüsse Art 21.3 UB00 Anwendung findet, zu bejahen“, so der OGH.

Das heißt: Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer werde die Bestimmung so verstehen, „dass unfallfremde Krankheiten und Gebrechen grundsätzlich auch im Zusammenhang mit den nach Art 6.2 UB00 versicherten Verletzungen zu seinen Lasten gehen“.

Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Einschränkung der Deckung nur für einen Unfall nach Artikel 6.1 gelten würde, nicht aber für die „Unfallfiktion“ nach Artikel 6.2, „lassen sich schon vor dem Hintergrund der insoweit klaren Bestimmung nicht finden“.

Wegen 100-prozentiger Mitwirkung kein Versicherungsschutz

Fazit des OGH: Der Sehnenriss als nach Artikel 6.2 UB00 versicherte Verletzung wurde zu 100 Prozent „durch die vom Morbus Parkinson (Krankheit) verursachten chronisch-degenerativen Veränderungen (Gebrechen)“ bewirkt.

Es liege also eine 100-prozentige Mitwirkung an der versicherten Verletzung – und damit an einer dadurch hervorgerufenen dauernden Invalidität – vor. Deshalb bestehe kein Versicherungsschutz.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob3/24b vom 6. März 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Gesundheitsreform · Invalidität
 
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